Warum der Jakobsweg?
Januar 2016 - tja, warum?
Gute Frage: Warum möchte ich überhaupt den Jakobsweg gehen?
Seit ein paar Jahren ziehe ich mich immer im Herbst allein für eine einsame Woche auf die Helgoländer Düne zurück. Die Düne kenne ich seit meiner Kindheit sehr gut und ich verbinde sie mit guten Gefühlen an dort erlebtes. Dort erreichen mich dann weder Arbeit oder Ehrenamt. In dieser einen Woche gönne ich mir eine Auszeit von den 51 anderen Wochen, die mit zum Teil vielen Aktivitäten verbunden sind. In dieser Woche darf ich einfach nur "sein", ohne um mich um irgendwas oder irgendwen kümmern zu "müssen". Ich habe großen Gefallen daran gefunden, obwohl ich meine sonstigen Aktivitäten durchaus sehr schätze und sie mein Leben positiv erfüllen. Teilweise geben sie mir einen guten und stabilen roten Faden im Leben vor, der mir halt gibt.
Nun ist aber ein Arbeitskollege, der 2015 die Möglichkeit dazu hatte, diesen kompletten Weg von St. Jean Pied de Port nach Santiago de Compostella gegangen und er hat mir ausführlich davon erzählt. Dieser Gedanke, sich einen rund 800 km langen Weg mit einfacher Ausstattung ohne viel Komfort zu erwandern, faszinierte auch mich und ich fing an, diesen Weg einmal näher in Erwägung zu ziehen. Er wäre nur die konsequente Fortsetzung dessen, was ich mit meiner Helgoländer Woche bereits eingeleitet hatte. Mein Arbeitskollege versorgte mich hierzu natürlich u.a. mit dem Buch von Hape Kerkeling sowie einigen Videos mit Dokumentationen und Spielfilmen, die sich um dieses Thema drehten.
Ähnlich wie in meiner Helgoländer Woche, hätte ich keine weitere Verpflichtung, als die, bis zum Abend eine geeignete Herberge zu finden und dort einzukehren. Es gäbe auf dieser 30-40 Tage langen Reise genug Zeit, einfach nur zu "sein" oder sich in Ruhe selbst zu reflektieren. Zur Hauptreisezeit im Sommer wollte ich wegen des Andrangs nicht auf die Tour gehen, weshalb mir das Frühjahr in der Zeit von Ostern bis Pfingsten gut passte. Zunächst wollte ich wegen der gewollten Einsamkeit auch eher den Camino del Norte beschreiten - also den Küstenweg weiter nördlich. Ich ließ mich aber doch zum Camino Frances, also dem klassischen Jakobsweg, überreden. Während dieser Zeit zwischen Ostern und Pfingsten ergeben sich für mich außerdem zwei wichtige Jahrestage: Ich werde seit 30 Jahren den Weg (jap. "Do") des Karate gehen sowie seit 50 Jahre auf Erden wandeln. Ein guter Moment also, zurück zu blicken zu dem, was bisher geschehen ist, zu sehen, wo ich jetzt gerade bin und zu schauen, wohin die Reise noch gehen könnte. Ist der eingeschlagene (Lebens-) Weg noch der richtige Weg? Wer oder was wird mir auf diesem Weg begegnen? Für was werden meine Augen geöffnet werden? Welche Sichtweisen und Prioritäten verändern sich?
Ich bin im November 2015 zusammen mit Claudia den Weg von St. Jakobi in Lübeck nach St. Jacobi in Hamburg gepilgert. Wir haben in Kirchen, Klöstern und Gemeindehäusern übernachtet und jede Menge Erfahrungen mit Menschen, Vertrauen und natürlich auch mit der Ausrüstung sammeln dürfen. Und auch wenn es merkwürdig klingt, hat es mich der Natur und der Langsamkeit wieder näher gebracht. Dinge, von denen ich mich im Laufe der letzten Jahre entfernt habe. Nur zu funktionieren ist nicht ausreichend, wenn man parallel nicht mehr mit der notwendigen Ruhe "sein" darf. Dieser Trip war eine super Übung und er hat mich darin bestärkt, mich jetzt ernsthaft auf den Weg zu machen.
Jetzt ist jedenfalls alles geregelt: Mein unbezahlter Urlaub, meine Möglichkeiten der An- und Abreise, die Ausrüstung, die mich den Weg über begleiten soll sowie diese Webseite hier. Ich bin schon sehr gespannt und freue mich auf den Weg.
So sei es - Buen Camino - Michael
Januar 2018 - Wie war's und wie gehts weiter?
Im Nachhinein betrachtet war der Jakobsweg 2016 mit das Beste, was ich je in meinem Leben unternommen habe. Die 7 Wochen zwischen Ostern und Pfingsten mit Abwesenheit von Arbeit, Ehrenamt und Karate-Training waren ein echtes Labsal für die Seele. Zeitweise hatte ich deswegen sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte, dass ich quasi alle daheim im Stich ließ. So war es aber nicht, weil auch das Leben daheim weiter ging.
Im normalen Leben habe ich trotz Sport relativ wenig körperliche Strapazen, aber dafür den Kopf wirklich voll mit einer Vielzahl von Aufgaben und Problemen, die zu lösen sind und mit denen ich mich ja auch gern beschäftige. Unterwegs war es aber mal genau anders herum. Trotz körperlicher Strapazen - im Schnitt jeden Tag ca. 30 km unterwegs sein bei zum Teil miesem Wetter und miesen Wegen - konnte ich meinen Kopf von einigem Ballast befreien. Dabei war es fast egal ob ich tagsüber allein unterwegs war oder mich in netter Begleitung befand. Das war das ideal passende Regulativ zu meinem sonstigen Leben. Noch viele Wochen danach wähnte ich mich auf dem Weg zu sein.
Einige Nebeneffekte der langen Pilgertour, die mir auffielen:
- Man bekommt wieder einen Blick auch für die ganz kleinen schöne Dinge im Leben und lernt sie schätzen.
- Man beurteilt andere nicht mehr so pauschal und voreilig - man akzeptiert jeden, wie er ist.
- Man benötigt keine Kraftausdrücke mehr.
- Konsum wird absolut nebensächlich.
Fazit:
Ich kann nur jedem empfehlen, sich selber mal auf den Weg zu begeben. Es dauert eine Weile, bis man auch mit dem Kopf dort ankommt. Daher sind die weiten Wege über viele Tage auch notwendig. Man kann sie nicht mal eben abhaken. Ein sehr voller Kopf braucht einfach Zeit, um den Alltag abzuschütteln und um dann offen zu sein für neue Eindrücke. Die körperlichen Anstrengungen helfen dabei. Es ist auch nicht wichtig, ob man unterwegs nach Gott sucht oder sich selbst finden will oder was auch immer. Finden tut man immer was interessantes. Es ist auch nicht wichtig, ob man mal pausiert, mal mit dem Bus fährt oder sich das Gepäck voraus schicken lässt, ob man schnell oder langsam ist, ob man kurze oder weite Distanzen geht - jeder geht einfach seinen eigenen Weg und kommt irgendwann an. Und wenn man unterwegs die Augen offen hält, kann man einiges entdecken - über sich, über andere, über die wundervolle Natur, über ein aufmunterndes Lächeln, über die eigene Kraft, den eigenen (besiegten) Schweinehund oder andere Kleinigkeiten. Alle Menschen, die ebenfalls diesen Weg gingen und die ich später traf, sind jeder auf seine Art innerlich immer noch berührt von dem, was sie dort erlebten. Jeder erlebte dort seine eigene Geschichte, mit der er fest verwurzelt ist und die ihm auch immer noch bewusst ist. Das spüre ich immer ganz deutlich.
Ich muss deshalb wieder los. Die ca. 1000 km von Sevilla nach Santiago zwischen Ostern und Pfingsten 2018 versprechen eine Tour mit noch-mehr-mit-sich-selbst-allein-sein. Nur 3-4 % der Pilger gehen überhaupt diesen Weg und die meisten davon auch nicht im Frühjahr. So rechne ich nur mit wenig anderen Pilgern, die sich aber trotzdem kennen lernen werden. Das ergibt sich einfach, weil man ja schließlich den gleichen Weg vor sich hat und abend häufiger die gleichen Herbergen aufsucht - ich bin gespannt und werde oben unter Caminos/Camino 2018 berichten.
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